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Triumphator - Kapitel I - Szene II

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Die Nacht in Ketten zu verbringen war für mich als solche keine völlig neue Erfahrung. Nur die Zelle, die wahrscheinlich kalt war, war mir fremd. Und die Tatsache, dass es eine Pritsche aus Holz war. Selbst im Gefängnis waren sie mit Stroh ausgelegt gewesen. Doch die Härte an sich machte mir auch keine Probleme, sie war nur ungewohnt. Als ich noch ein Kind gewesen war, hatte meine Mutter immer gesagt, ich sei von den Göttern ganz besonders gesegnet worden, weil ich von Hitze und Kälte und jedem Schmerz freigesprochen worden war. Ich hatte ihr geglaubt. Bis ich irgendwann die Gefahren, die ich dafür in Kauf nehmen musste, kennengelernt hatte. Von da an fragte ich mich: welcher grausame Gott erteilt solch einen Segen? Ich war mir nach wie vor nicht sicher, doch in dieser Nacht dachte ich zum ersten Mal daran, dass mein Name vielleicht mehr als nur ein Name war. "Marek, Sohn des Mars", hatte meine Mutter geflüstert, als ich sie zuletzt gesehen hatte. Alt und wahnsinnig war sie gewesen.
Ihre einst so wunderschönen Augen, braun wie die meinen, waren groß wie Hühnereier in ihrem eingefallenen,   bleichen Gesicht gewesen. Ihr schlohweißes Haar war verfilzt und verdreckt gewesen, ihre Haut fleckig. Eine schmale, ausgemergelte Hand hatte durch die Gitter, die Mutter und mich getrennt hatten, gegriffen und mich am Kragen meiner einfachen, schmucklosen Tunika gepackt. "Mach deinen Vater Stolz, mein Sohn." Ich hatte ihr kein Wort geglaubt. Natürlich nicht. Der Geisteszustand meiner  Mutter hatte sich in ihren letzten Lebensmonaten so sehr verschlechtert, dass unser damaliger Dominus sie eingesperrt hatte. Mehr als einmal hatte sie im Wahn irgendjemanden angegriffen. Es war das letzte Mal gewesen, dass ich meine Mutter gesehen hatte. Obwohl sie mit dreiundvierzig Jahren nicht gerade alt geworden war, hatte sie älter als die älteste Serva ausgesehen. Thrakische Sklaven wurden nie besonders alt, hatte der Dominus gesagt. Getröstet hatte diese Aussage weder meine Schwester noch mich, dennoch hatte ich schnell bemerkt, was er meinte. Unsereins alterte unter der heißen Sonne Palermos schneller als die dunkelhäutigen Afrikaner oder Karthager.
Auch auf meiner Haut hatte die Zeit in diesem Land, das nicht das meine war, schon jetzt ihre Spuren hinterlassen. Narben, Falten, seltsame Flecken. Doch ich hatte mich daran gewöhnt, ich hatte gelernt die Insel als meine Heimat zu lieben und deshalb wollte ich hier auch nicht weg. In gewisser Weise war ich sogar froh, dass ich noch hier war, auch wenn das bedeutete, dass ich kein freier Mann mehr, sondern wieder ein Sklave, war. Mutter war hier gestorben, ebenso Marka. Wenn ich sterben würde, dann bei meiner Familie.
Den Gedanken, den die Hybris mir ins Ohr zu flüstern versuchte, ignorierte ich. Doch die Worte meiner Mutter wollten mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. "Sohn des Mars." Anmaßende Gotteslästerung, oder enthielten die Worte doch einen Hauch Wahrheit? Mutter war immer eine sehr gläubige Frau gewesen. Sie hatte die Götter der Römer ebenso akzeptiert, wie die der Griechen, mit denen sie aufgewachsen war. Besonders Mars hatte sie immer verehrt, denn er war mit Ares - unter dessen Stern sie geboren war - ebenbürtig. Ich sollte nicht zu viel auf das Geschwätz einer halb wahnsinnigen, sterbenden Serva geben. Schmerzfrei hieß nicht unverwundbar. Statt mich an  diese Sätze zu erinnern versuchte ich mich an das Gesicht meiner Schwester zu erinnern.
Blondes Haar, wie geflochtenes Gold. In ihren jungen Zügen hatte stets die Unschuld geseßen. Ihre Augen hatten eine seltsame Farbe gehabt. Ein blasses grünblau, mit einem schwarzen Kranz darum. Voller Schrecken erkannte ich, dass ich mich sonst kaum mehr an sie erinnerte. Sie war schön gewesen, doch ihr Bild schien zu verblassen, ebenso wie das Grünblau ihrer Augen. Sie verschwamm förmlich, je verzweifelter ich versuchte nach ihr zu greifen. Bis sie schließlich nur noch ein Schatten war. Ich konnte mich nur daran erinnern, mich an sie zu erinnern. Ich hatte davon gehört. Dass ein geliebter Mensch einfach vergessen wurde, wenn der Hass auf denjenigen, der ihn mit sich genommen hatte, übermächtig wurde. Mein Hass richtete sich nicht gegen Pluto, den Gott der Toten, viel mehr gegen den Menschen, der Marka in ihrem Innern so sehr zerrissen hatte, dass nicht einmal ich in ihr den Menschen hatte wiederfinden können, der sie einst gewesen war. Valentinus hatte Marka alles geraubt, was sie gehabt hatte. Und das war wahrlich nicht viel gewesen. Ihre Lebensfreude, ihr Vertrauen, ihre Herzlichkeit. Nicht zuletzt ihre Unschuld. Er hatte vielleicht nicht das Messer geführt und ihr ins Herz gestochen, doch die Begegnung der beiden war der Anfang vom Ende des Lebens meiner Schwester gewesen.
Ich hatte diesem Römer nie getraut. Ich traute im Allgemeinen eigentlich niemandem. Livius war mein bester Freund, doch auch er war nur ein Mensch. Auch er war nicht vor Verrat und Geschwätzigkeit geschützt. Es lebte sich sicherer damit, niemandem zu vertrauen. Doch meine kleine Schwester war anders gewesen. Ganz anders als ich je gewesen war und je sein würde. Sie war in einer Weise offen und ehrlich gewesen, die ich nicht verstehen konnte. Sie konnte mit Menschen umgehen,mit ihnen reden, lachen. Letzten Endes hatte es ihr auch nicht geholfen. Nichts hatte ihr mehr helfen können. Auch nicht die Liebe der Menschen, die ihr Leben zur Hölle gemacht hatten. Unser Leben. Es war unser Leben gewesen, dass Valentinus zerstört hatte, als er meine Schwester missbraucht und gebrochen hatte.Und auch wenn ich monatelang alles getan  hatte, was mir möglich war, sogar noch mehr, so empfand ich es zumindest, hatte ich aus Marka nicht mehr den Menschen machen können, der sie einst gewesen war. Meine süße kleine Schwester war gegangen. Sie war fort gewesen.  Was ich noch hatte, was ich jede Nacht im Arm hielt, was ich morgens förmlich zum Aufstehen zwang, war nicht mehr als ein Schatten gewesen. Eine leere Hülle. Ein Gespenst.
Ich setzte mich auf die Pritsche und lehnte meinen Rücken gegen die Wand. Ich trug kein Oberteil mehr. Die losen Backsteine, der bröckelnde Lehm, trafen direkt auf meine nackte Haut. Nicht, dass es mich gestört hätte. Ich empfand es zwar, doch es war nicht unangenehm. Es war da. Nicht mehr, nicht weniger. Anders als der Schmerz über den Verlust, der sich in meine Seele fraß. Schmerzlos zu leben klang vielleicht gut, aber nur für die Menschen, die keine Ahnung hatten. Die nicht wussten wie es war, wenn der erste Schmerz der eines gebrochenen Herzens war. Bis an den Rand des Wahnsinns hatte er mich getrieben. Auf hohe Klippen, zu illegalen Kämpfen, in Arenen ohne Zuschauer, nur ich und mein Wahnsinn als immerwährende Gegner.
Und weiter geht es mit Triumphator.
Hier haben wir den zweiten Teil.

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Tutziputz's avatar
Sehr geschickt, wie sich aus den Erinnerungen des Erzählers langsam ein komplexes Bild ergibt. Sehr gelungen auch, wie Du seine Gedanken nachzeichnest. Nicht systematisch erzählend sondern unstrukturiert, chaotisch hin und her springend ... genauso, wie jemand in dieser Situation denken würde.

Und trotzdem hast Du es irgendwie geschafft, seine Gedankenwelt zu einem furiosen Höhepunkt zu führen :clap:

Ein kleiner Tipp (nicht zum Inhalt - der ist perfekt - sondern zur Form): Ich würde Absätze und sogar ein paar Leerzeilen in den Text einfügen, damit er sich hier in dem schusseligen DA-Format besser lesen lässt.